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In Deutschland macht sich der Wutbürger breit, er vergisst sein eher
konservativ-bürgerliches Benehmen und demonstriert aufgebracht gegen Projekte
wie Stuttgart 21. In vielen Regionen formiert sich Protest gegen meterhohe
Stromtrassen, die die Energiewende bringen sollen. TTIP und andere
Handelsabkommen mobilisieren die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen und
rufen Empörung hervor.
Diese Beispiele verdeutlichen: wo es um Macht und
Politik geht, sind auch immer Emotionen im Spiel. Die Menschen sind meist persönlich
von Entscheidungen Dritter betroffen – teilweise existenziell. Es liegt in der
Natur von Emotionen, dass sie beachtet und verarbeitet werden wollen. Doch die
Tendenz zur Rationalisierung des politischen Willensbildungsprozesses verbannt
Gefühle aus der Politik ins Private. Dabei beschränkt sich der rationale Diskurs
auf Begründungen für Argumente, er rückt die Generalisierung in den Vordergrund
und gibt individueller Erfahrung und Betroffenheit wenig Raum. Oftmals geht es
um Machtpolitik, nicht aber um das Wohl der Allgemeinheit. Der informierte
Bürger kann nur zusehen, wie eine falsche Entscheidung nach der anderen
getroffen wird. Zudem fühlen sich viele Menschen in der komplexer werdenden Welt
verloren.
Gary S. Schaal und Felix Heidenreich stellen im APuz-Artikel "Politik
der Gefühle. Zur Rolle von Emotionen in der Demokratie" fest, dass das Vertrauen
gegenüber Politikern immer wichtiger, zugleich jedoch immer seltener wird.
Durch den raschen sozialen Wandel vermehrt sich damit in unserer Gesellschaft
nicht nur Wissen, sondern auch Unsicherheit. Gelingt es Politikern nicht, der
Bevölkerung Orientierung zu geben, dann wird aus Unsicherheit und einem mangelnden
Vertrauen in die Fähigkeit der Politikeliten nur noch eins: Ablehnung.
Verachtung entsteht dann durch die Überzeugung, dass Politiker ihren sozialen
Rang und das damit einhergehende Prestige nicht verdienen. Umfragen spiegeln
genau das wider: in der Allensbacher Berufsprestige-Skala 2013 schneidet der
Beruf des Politikers schlecht ab, nur 6 Prozent der Bevölkerung achten ihn. Der
Beruf des Arztes liegt dagegen seit Jahren unangefochten an der Spitze der
Skala. In anderen Ländern steht es ähnlich schlecht um das Ansehen des
Politikers: in Tschechien haben nur Putzfrauen ein noch schlechteres Image. Wir befinden uns also zunehmend in einer Demokratiekrise, denn ohne den
Glauben der Bürger an eine funktionierende Demokratie und einen intakten
Rechtsstaat fehlt dem Staat seine wichtigste legitimatorische Grundlage.
Trotz
ihrer Verachtung für die Politiker des Landes wollen und können viele Bürger
sich nicht gänzlich vom politischen Geschehen abwenden, daher erfreut sich die
Politsatire mehr denn je großer Beliebtheit. Formate wie Extra 3, Die Anstalt
oder die ZDF heute-show nehmen mittels Übertreibung, Bloßstellung und Verzerrung
das Politikgeschehen auf unterhaltsame Weise in die Mangel. Rentenpolitik, Energiewirrwarr,
Massenüberwachung, Herdprämie, Drohnen, Aufstieg der AFD und Abstieg der FDP –
die Politik liefert dafür genug Sendematerial.
Während sich immer mehr Menschen von den klassischen
Nachrichtensendungen abwenden, kursieren im Internet und auf Smartphones
täglich Meldungen wie: „Lobbyistenlobby fordert Diäten für an Gesetzgebung
beteiligte Lobbyisten“ (Der Postillion, 2010) oder „Putin schickt Armee in
Ostukraine, um nach verirrten russischen Soldaten zu suchen“ (Der Postillion,
2014). Im Fernsehen kommen die beißenden Kommentare von heute-show-Moderator
Oliver Welke besonders beim jüngeren Publikum an. In einer Folge nimmt Welke
die Vorstellungsvideos der neuen Regierung auseinander: „Was ich an den Filmen
aber richtig geil finde; die Minister müssen sich bei ihrer Vorstellung immer
so keck eindrehen. Das sieht so derartig uncool aus (Pause), da könnte man glatt eine ganze
RTL-Serie draus machen!“ In Form des GZSZ-Einspielers erscheinen dann in Zeitlupe
und engelhaft lächelnd Siggi, Franky boy, die Uschi, Peterle, Wolle und Mutti.
Auch der Europawahlkampf bietet dieser Folge Gesprächsstoff. Welke stellt fest,
wie unfassbar viel in dieser Zeit im Wahlkampf auf den deutschen Markplätzen
„abgeht“. Passend dazu wird Kanzlerin Angela Merkel bei einer Wahlkampfveranstaltung
eingeblendet, mit den Worten: „Viele haben gebrüllt, viele haben zugehört, beim Eiswagen war eine Schlange, das hat mich sehr
beeindruckt […] und wenn dann noch gefragt wird, worum ging’s sonst noch, hat
die Merkel noch irgendwas gesagt…“
Moderator Welke schaltet sich wieder ein: „...dann sagen Sie, keine
Ahnung, ich habe nicht zugehört, ich stand in der Schlange am Eisstand! Meine
Fresse, die Merkel, der alte Baldrian-Junkie.“ (ZDF heute-show, Folge vom 23.
Mai 2014).
Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie sprach auf der 32.
Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft zum Thema
„Emotionen und Politik“ einen Wunsch aus: „Ich möchte, dass Politiker ihre
Würde behalten.“
Welche Auswirkungen haben also Satireformate wie die
heute-show auf die Politik- und Demokratiezufriedenheit? Fördert Politsatire
sogar die Verachtung gegenüber Politikern? Einerseits ja, andererseits nein. Zunächst zum Gefahrenpotenzial: nicht
nur die politische Kommunikation, auch die Medien betreiben Gefühlsmanagement, indem
sie Emotionen beeinflussen oder erstmalig hervorbringen. Die Begeisterung für
Satire ist nicht neu, mit den Massenmedien und den Verbreitungsmöglichkeiten des
Internets entstehen jedoch neue Dimensionen. Politische Satire trägt damit eine
gewisse Verantwortung. Aber auch der Zuschauer sollte den Konsum einer
politischen Satiresendung gründlich reflektieren, damit kein neues
Aggressionspotenzial entsteht.
Andererseits gefährdet nicht nur die „Unvernunft eines emotionalisierten
Mobs“ die Demokratie, sondern viel stärker die „Lethargie einer saturierten
Konsumgesellschaft, die auch im Angesicht himmelschreiender Ungerechtigkeiten
oder erkennbarer Rechtsbrüche“ keine Wut mehr empfindet, um es mit den Worten
von Heidenreich und Schaal zu sagen. Die Lücke zwischen diesen beiden Extremen
füllen Satire-Formate. Sofern die Bedingung des bewussten Konsums erfüllt ist,
dient die politische Satire als Ventil für Emotionen und hilft dabei „Dampf
abzulassen“. Um der unerträglichen Realität zu entkommen, flüchtet sich der
interessierte Bürger von der heute-Sendung in die heute-show. Politsatire
kanalisiert die vorhandene Verachtung gegenüber Politikern geschickt und ermöglicht
es dem Zuschauer mit einer sprachlich überspitzten Thematisierung von
Missständen, „sich lustig zu machen“, und hält dadurch das Interesse an Politik
und ihren Vertretern lebendig. In einer auf die Gefühlsbremse getretenen
Konsensdemokratie wirken die Sticheleien wie eine Erlösung.
Letztendlich kann Politsatire à la heute-show bis zu einem gewissen Grad
Unsicherheiten abbauen und Orientierung geben. Satire ist damit im Bereich der
Unterhaltung förderlicher für die Demokratie als Mario Barths Frauenwitze und
die völlige Abkehr von Politik und Nachrichten. Dadurch, dass Hohn und Spott
zugelassen werden, kann nach einem ersten Aufschrei paradoxerweise langfristig
wieder Vertrauen entstehen. Schließlich scheint der arme Politiker auf dem
Bildschirm doch nicht so arrogant zu sein, sondern einfach nur menschlich. Es
findet somit in gewisser Weise eine Verniedlichung statt, jedoch keinesfalls
eine Verharmlosung. Wenn der Moderator der heute-show von einer Pointe zur
nächsten jagt, hält sich der Zuschauer vor Lachen den Bauch, jedoch einen
informierten Bauch. Gut möglich, dass einige Zuschauer in der Sommerpause der
Sendung unter Entzugserscheinungen litten.
Als Verfall der Demokratie kann die derzeitige Entwicklung jedoch nicht
bezeichnet werden. Das geschickte Spiel mit den Emotionen ist vielmehr
überlebenswichtig für die Demokratie - Humor besitzt damit eine wichtige
politische Funktion. Martin Sonneborn kommentierte seinen Eintritt ins Europäische Parlament
in der heute-show vom 6. Juni 2014 dagegen mit den Worten: „Mit Satire kann man
die Welt nicht verändern, ich gehe deswegen jetzt in die Politik“. Hier wäre
ein Augenzwinkern angebracht. Ein Satiriker darf eben auch als Politiker nicht
ernst genommen werden.
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