Dienstag, 12. Mai 2015

Polens politisches Präsidentenerdbeben



Warschau am Gedenktag an den Kaczynski Absturz, Andrzej Duda mittendrin

Zu Gast auf dem Sofa: Vanessa Pudlo

Erst Cameron, jetzt Duda: nach dem überraschenden Sieg der Conservatives bei den Unterhauswahlen in Großbritannien am vergangenen Donnerstag wurde nun auch Polen eine unerwartete politische Wende beschert. Andrzej Duda, Kandidat für den Posten des polnischen Staatspräsidenten der rechtskonservativen Partei PiS, gewann mit 34,8% der Wählerstimmen die erste Runde der gestern in Polen abgehaltenen Präsidentschaftswahlen. 
Das Ergebnis gleicht einer kleinen Sensation, wurde doch zu Beginn des Jahres ein langweiliger, weil glasklarer Ausgang der Wahlen prophezeit, denn wer sollte Bronislaw Komorowski, amtierender Präsident und Kandidat der liberal-konservativen Regierungspartei PO, schon ernsthaft gefährlich werden können?

Komorowski setzte im Wahlkampf vor allem auf Sicherheits-und Familienpolitik, Duda auf Steuersenkungen und die Absenkung des Rentenalters, für dessen unliebsame Erhöhung Komorowski verantwortlich gemacht wird. Selbst als der Zuspruch für Komorowski in der Bevölkerung langsam zu bröckeln begann, stand immer noch außer Frage,  dass der amtierende Präsident auch der neue Präsident sein wird. Die Frage war bis zum Schluss nicht, ob Komorowski die Wahl gewinnt, sondern wie: schafft er es bereits in der ersten Wahlrunde oder muss er in die Stichwahl, weil er die absolute Mehrheit der Stimmen nicht erreicht hat? Seit gestern Abend ist klar, dass er in die Stichwahl muss - und das unter anderen Umständen als gedacht. Mit 32,2% unterlag er knapp seinem schärfsten Konkurrenten, Andrzej Duda.

Dudas vermeintliche Aufholjagd und Komorowskis dramatische Einbußen in der Wählergunst dürften maßgeblich auf sein Konto gehen: Pawel Kukiz, polnischer Rocksänger, Systemkritiker und Hoffnungsträger der Jungen und Frustrierten. Ohne Partei und richtiges Wahlprogramm stellte er für viele Wähler eine echte Alternative zu den traditionell starken konservativen Kräften in der polnischen Parteienlandschaft dar. Bei der gestrigen Wahl gewann er auf Anhieb 20% der Wählerstimmen - und das bei einer Wahlbeteiligung von nur knapp 50%. Wie zukunftsfähig Kukiz' politisches Nicht-Programm ist, wird sich zeigen müssen - denn jede Protestwahl, denn für nichts anderes stehen diese 20% Wählerstimmen, muss zwangsläufig in einer neuen Frustrationswelle enden, spätestens dann, wenn die Hoffnungen der Wähler auf bessere Zeiten wieder einmal enttäuscht wird.

Während sich Kukiz nun mit aller Kraft, beflügelt von seinem Wahlerfolg, auf die Parlamentswahlen im Herbst konzentriert, für die er sich wohl tatsächlich gute Chancen ausrechnen kann, geht der Wahlkampf für Komorowski und Duda nun noch zwei Wochen weiter. Am 24.Mai treten sie in einer Stichwahl gegeneinander an. Auch wenn der Wahlausgang mit Dudas knappem Überraschungssieg noch keinesfalls besiegelt ist, kann er wohl mit der Unterstützung jener Wählergruppe rechnen, die wahrscheinlich das Zünglein an der Waage sein wird: Pawel Kukiz' Wähler. Denn während Kukiz im Wahlkampf zunächst äußerte, er würde im Falle einer Stichwahl keinem der Kandidaten seine Unterstützung aussprechen, ließ er einige Tage später verlauten, dass er in jedem Fall nicht Komorowski wählen würde, wenn es zu einer zweiten Wahlrunde kommt. Sollte er diese Aussage noch einmalwiederholen bzw. explizit machen, dann dürfte Dudas Sieg wohl so gut wie nichts mehr im Wege stehen. Aber wer weiß das heutzutage schon. 

Vanessa Pudlo ist derzeit Praktikantin in Warschau und konnte die Wahl vor Ort verfolgen.
Foto: SF

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